Als Kind war ich im Kirchenchor. “Do re mi” und “hahahahehehe” am Anfang jeder Probe waren nicht zu meinen Lieblingsübungen beim sogenannten Einsingen. Aber eine klare und weite Stimme basiert auf einem kraftvollen und ausgeglichenen Atem. So habe ich schon als Kind unbewusst Atemübungen gemacht, wenn ich laut trällernd in den Keller ging (Gespensterabwehr). Es braucht dafür einen langen (Aus)Atem.
In der Zeit als ich viel zu viel arbeitete, merkte ich eines Tages, dass ich gerade mal bis in meinem Brustkorb atmete und dann einfach die Luft anhielt. Ich fragte mich, wie soll ich denn mehr Kraft in dieser anstrengenden Zeit haben, wenn ich schnapp-atme wie ein Fisch? Hmmm…. Ich versuchte mehr darauf zu achten, fließend bzw. überhaupt zu atmen. Ein kleiner Anfang.
Während meiner Yogalehrer Ausbildung widmeten wir uns ein Jahr lang intensiv dem Atem, unserer Lebensenergie. Beobachtung, Wahrnehmung und bewusste Beeinflussung wurden Schritt für Schritt geübt. Beim prāṇāyāma werden die Länge der Aus- und Einatmung durch beide oder auch nur ein Nasenloch in einem bestimmten Rhythmus gelenkt. Und auch die bewussten Atmenpausen, nach der Ein- und/oder Ausatmung, werden entsprechend innerer Zählzeiten gesetzt. Es ist beeindruckend, welche Möglichkeiten unser Atem bietet. Ein echtes Wunderwerk, wenn man bedenkt, wie bedeutsam unser erster und letzter Lebensatemzug sind.
Für meine Abschlussarbeit habe ich 6 Wochen täglich (fast ;- ) einmal habe ich es vergessen) die Wechselatmung geübt und meine Erfahrungen dazu schriftlich festgehalten. Inzwischen hatte ich wiederentdeckt, meinen Atem natürlich frei fließen zu lassen und wie wichtig es ist, auch und vor allem in stressigen Situationen “bewusst (durch)zuatmen”. Wir hatten gelernt, wie eng unser Atem mit unserem emotionalen & mentalen System zusammenhängt. Unser Atem entschleunigt unsere Gedanken und lässt uns im Hier & Jetzt sein. In den vielen Stunden, die wir in dieser Zeit mit unserem Atem und Atemübungen verbracht haben, stellte ich fest, ich hatte bei gleichem Gewicht “mehr” Bauch als am Beginn meiner Ausbildung. Wie geht das ? Ein Zeichen, wie sehr ich meinen Atem festgehalten habe & wie sehr ich die natürliche Bauchatmung verloren hatte. Dabei ist diese so heilsam. Ein natürlicher Atem reguliert unseren Kreislauf, Sauerstoffversorgung, Stoffwechsel, Hormonsystem…
Im Alltag dreht sich unser natürliches Atemmuster häufig um & die Mundatmung wird zum neuen Normal. Damit ändert sich einiges in uns. Aber die Mundatmung ist ein ganz eigenes Thema (ein paar Stichworte dazu, die mich sehr inspiriert haben: Kieferverformung, Zahnfehlstellungen, Zähneknirschen, die Dentosophie – eine Welt für sich – das Buch von “Michel Montaud: Dentosophie” fand ich sehr spannend, vor allem nach meiner eher unschönen Erfahrung mit einer festen Zahnspange).
Aber zurück zu meinen 6 Wochen Wechselatmung. Anfangs hatte ich einige Widerstände täglich zu üben. Meine Gedanken verstärkten diese. Nach 5 Tagen bemerkte ich eine erste Beruhigung, die auch länger als nur die Übungszeit (15 – 20 min) selbst anhielt. Stück für Stück kam ich mehr in den Beobachtermodus und stand nicht mehr nur mitten in meinen Gedanken und Gefühlen. Mehr und mehr zog es mich nach der eigentlichen Übung auch ganz von selbst in die Meditation. Erst ein paar Minuten, am Ende der 6 Wochen dann friedliche 30 Minuten. Das entsteht dann einfach von selbst und ist eine sehr kraftvolle Basis für den Alltag.
In 2024 habe ich das erste Mal eine Atempraxis von 80 Tagen gemacht. Diese war online begleitet von einem tollen Lehrer. Es hat mich einfach angezogen und so fiel es mir leicht, mich täglich 15 bis teilweise 60 Minuten meiner Atmung zu widmen. Aufgrund der Länge der Tage und auch der Art der Atemübungen war es deutlich intensiver als meine vorherigen Erfahrungen. Es war wie eine direkte Begegnung mit meinem Inneren. Das Unsichtbare wurde fühlbar.
Es gab natürlich auch Tage, an denen sich alles gefühlt rückwärts bewegte, mehr Unruhe & Unwillen auftauchten. Manchmal streikte mein Körper und wurde unruhig, manchmal schossen mir mehr Gedanken durch den Kopf, als ich dachte je denken zu können. Das, was ich in meiner Ausbildung gelernt und bis dato recht sanft erlebt hatte, war dieses Mal bedeutend intensiver.
Genau dann, wenn so eine innere Unruhe in mir aufstieg, war es der Atem – meine Lebensenergie – der mit meinem Geist, den mentalen Muster, direkt aufeinander traf. Das ist nicht unbedingt angenehm und gleichzeitig sehr befreiend. Jeder Atemzug hat mich weiter gebracht. Freundlich “dran bleiben”, bei mir bleiben und nicht meinen (in diesen Momenten nicht dienlichen gewohnten Gedanken & Gefühlen nachzugeben) ist eine Übung, jedes Mal aufs Neue.
Die Kunst in diesem Moment ist es, mich für Klarheit im Kopf zu entscheiden und sanft aber auch entschlossen weiter zu atmen (was manchmal bei bis zu 16 Zähleinheiten eine echte Herausforderung war). Und gleichzeitig zu fühlen, wann es schlicht zu viel wäre und ein Durchatmen oder Neusortierung meines Körpers richtiger ist (ohne mich grundsätzlich von der Übung abbringen zu lassen).
Auf diese Art habe ich die 80 Tage statt bei Widerstand alles aufzugeben Schritt für Schritt weitergemacht. Und nach dem Widerstand öffnete sich jedes Mal eine neue innere Tür. Ich war echt stolz auf mich und fand es beeindruckend, wie sich Selbstvertrauen anfühlt. Einfach, weil ich dranbleibe an dem, was mir gut tut. Ich sah manchmal Farben vor meinem inneren Auge oder fühlte mich in ganz helles Licht getaucht. Mein Körper verlor die Grenzen & ich durfte eine Ebene tiefer gehen – von Außen nach Innen. Mein Kopf, mein Herz und meine Nase wurden freier, ein sehr belebendes Gefühl.
Ich hatte unglaublich viel Power und 5 Stunden Schlaf reichten vollkommen aus, wach und klar meinen Tag zu starten. Viele Menschen sagten, ich strahle so. Das kann nur von Innen entstanden sein ;-) Spannend fand ich, dass mein Körper subtil schwitzte, wenn ich mich durch die Widerstände atmete. Ein netter Nebeneffekt war die Gewichtsabnahme von 2 kg. Richtiges Atmen stillt Lebenshunger.
Es ist so einfach & so elementär und gleichzeitig oft so verkannt. Atmen, ja – kann jeder. Aber es braucht Bewusstsein, uns im stressigen Alltag immer wieder zu erinnern frei, lang und weit zu atmen. Dann erhalten wir mehr Energie, mehr Klarheit, mehr Flow, mehr Lebensfreude. Ich möchte es nicht mehr missen.
Heute, 09.06.2025 Tag 31 / 90. Diese Runde ist anders. Ich habe etwas weniger Power als im letzten Jahr und irgendwie führt diese Atemzeit die Idee meiner Fastenzeit im Februar fort. Noch mehr Aussortieren, physisch und mental. Platz schaffen im Innen und Außen. Das wiederum führt dann automatisch wieder zu mehr Energie. Aber im Moment bin ich noch mittendrin :-) In diesem Sinne – ich atme weiter und schaue, welche Türen sich öffnen wollen.
Viel Freude beim Atmen. Alles Liebe
Rita